›The Wreckers‹ am 25.9.2022

Die Komponistin Ethel Smyth

Porträt Ethel Smyth, vor 1904. Abbildung: Aimé Dupont, Public domain, via Wikimedia Commons
Porträt Ethel Smyth, vor 1904. Abbildung: Aimé Dupont, Public domain, via Wikimedia Commons

Ethel Smyths hochdramatische Oper ›The Wreckers‹ ist am 25. September als deutsche Erstaufführung der französischen Originalfassung konzertant in der Philharmonie zu erleben. Chefdirigent Robin Ticciati dirigiert das DSO und den Rundfunkchor Berlin, in den Hauptrollen sind Philip Horst, Karis Tucker und Rodrigo Porras Garulo zu hören. »Die Musik ist von unglaublicher Bandbreite«, schwärmt Robin Ticciati. »Sie ist emotional und stilistisch absolut auf der Höhe ihrer Zeit, romantischen Bühnenwerken von Humperdinck, Bizet oder Massenet vergleichbar. Es wird Zeit, Ethel Smyth in Berlin zu entdecken!« Im Folgenden stellen wir Ihnen die Komponistin schon einmal vor. Ausführlicher können Sie Ethel Smyth zudem in unserem Symposium am Konzertnachmittag kennenlernen.

Ethel Smyth im Porträt

Mit einem Hungerstreik setzte die junge Ethel Smyth ihren Vater, einen britischen Generalmajor, unter Druck. Sie wollte Komposition studieren, und sie erkämpfte sich so seine Zustimmung. Im Sommer 1877 reiste die 19-Jährige ans Ziel ihrer Träume – nach Leipzig. Doch das Konservatorium entpuppte sich als Enttäuschung, den Unterricht fand sie uninspiriert und langweilig. Kurzerhand quartierte sich die energische Engländerin bei dem Ehepaar von Herzogenberg ein: Bei Heinrich nahm sie Privatstunden, während Elisabeth (Lisl) zu ihrer ersten großen Schwärmerei avancierte. Als Smyth in Florenz Lisls Schwester Julia und deren Mann Henry B. Brewster begegnete, fand die Idylle ein jähes Ende. Der amerikanische Kosmopolit verliebte sich Hals über Kopf in die exzentrische Britin, die Situation eskalierte und Smyths heiß geliebte Freundin Lisl brach den Kontakt zu ihr ab.

Es folgten dunkle Jahre, die Smyth zum Teil in München und Leipzig, zum Teil bei ihren Eltern auf dem Landsitz in Surrey verbrachte. Erst 1890 konnte die junge Komponistin schließlich ihr Debüt in London feiern, 1893 wurde ihr erstes großes Chor- und Orchesterwerk, die Messe in D-Dur, in der Royal Albert Hall aufgeführt.

Die Opern­kompo­nistin

›Wreckers off the Brittany Coast‹ (1911) von Georges Maroniez. Abbildung: Public domain, via Wikimedia Commons
›Wreckers off the Brittany Coast‹ (1911), Gemälde von Georges Maroniez. Abbildung: Public domain, via Wikimedia Commons

Auf Anraten von Pjotr Tschaikowsky und dem Münchner Dirigenten Hermann Levi wandte sie sich von der Leipziger Kammermusikszene und ihrer Vorliebe für Brahms’ Musik ab und beschäftigte sich eingehend mit Orchestration und Musikdramatik. Ihre ersten beiden Bühnenwerke ›Fantasio‹ und ›Der Wald‹ wurden ebenso wie ihre dritte Oper ›Les Naufrageurs‹ (Strandrecht/The Wreckers) in Deutschland uraufgeführt. Das Libretto verfasste Smyths’ Liebhaber Henry B. Brewster auf Französisch, da er hoffte, den Musikdirektor des Royal Opera House André Messager so für das Werk gewinnen zu können. Das Thema von ›The Wreckers‹ ist allerdings ein zutiefst englisches: Das Stück handelt von Strandräubern im Cornwall des 18. Jahrhunderts, die die Signalfeuer auf den Klippen löschen und sich an den Ladungen der zerschellten Schiffe bereichern. Da es Smyth aber nicht gelang, die Oper in Großbritannien unterzubringen, wurde das dreiaktige Musikdrama zunächst Ende 1906 in Leipzig und dann in Prag produziert, bevor es zwei Jahre später konzertant in der Queen’s Hall in London zu hören war. 1909 nahm sich der Dirigent Thomas Beecham ›The Wreckers‹ an und brachte das Stück in seiner Saison an His Majesty’s Theatre sowie ein paar Monate später endlich am Royal Opera House auf die Bühne.

»Der genaue Wert meiner Musik wird wahrscheinlich erst dann erkennbar sein, wenn von der Autorin nichts mehr übrig ist als geschlechtslose Punkte und Linien auf liniertem Papier. Ich weiß es selbst nicht und muss es auch nicht wissen.«

Ethel Smyth: A Final Burning of Boats, London: Longmans & Co. 1928, S. 54

Die Frauen­rechtlerin

Ethel Smyth 1912 bei einer Versammlung der Womens Social and Political Union (WSPU) 1912. Abbildung: LSE-Library, No restrictions, via Wikimedia Commons
Ethel Smyth 1912 bei einer Versammlung der Womens Social and Political Union (WSPU) 1912. Abbildung: LSE-Library, No restrictions, via Wikimedia Commons

Als Kämpferin in eigener Sache erfahren, verschrieb sich Smyth ab Herbst 1910 der militanten Suffragettenbewegung und engagierte sich für das Frauenwahlrecht, was sie im Jahr 1912 kurzzeitig ins Gefängnis Holloway brachte. Beecham besuchte sie dort und erspähte Smyth am Zellenfenster, wie sie mit einer Zahnbürste ihre Mitgefangenen dirigierte, die Smyths ›March of the Women‹ schmetterten, die Hymne der Suffragettenbewegung.

Ihre vierte Oper ›The Boatswain’s Mate‹ entstand im Winter 1913/14 in Ägypten, wohin sie reiste, um sich wieder in Ruhe aufs Komponieren konzentrieren zu können. Während des Ersten Weltkriegs verdingte sich Smyth als Radiografin in Frankreich und fing an zu schreiben. Ihre erste Autobiografie ›Impressions That Remained‹ erschien 1919 und wurde gleich mehrfach neu aufgelegt. Der Erfolg animierte die Komponistin, die bereits ab 1910 hier und da musik- und frauenpolitische Aufsätze und Leserbriefe verfasst hatte, ihre publizistische Tätigkeit fortzusetzen.

In den 1920er- und -30er-Jahren gelang Smyth schließlich der endgültige Durchbruch als Komponistin in Großbritannien, nicht zuletzt durch ihre vielfältigen Aktivitäten als Dirigentin eigener Werke, Autorin von zehn größtenteils autobiografischen Schriften, durch ihr musik- und gesellschaftspolitisches Engagement und ihre Zusammenarbeit mit der BBC.

»Mir scheint, dass die Stunde der Frauen in der Musikwelt geschlagen hat. Und zufällig bin ich gerade da. Und ich empfinde es als meine Pflicht gegenüber der gesamten Frauenwelt, auf diesem Gebiet weiter­zumachen. Jede Frau, die nach mir kommt, wird es leichter haben, weil ich als Erste den schweren Weg gegangen bin.«

Ethel Smyth

Auch wenn ihr Wirken zum Ende ihres Lebens etliche Würdigungen erfuhr – darunter Ehrenmitgliedschaften, vier Ehrendoktorwürden, die Ernennung zur Dame Commander of the British Empire 1922 –, empfand sich Smyth bis zum Schluss als benachteiligt. Sie hatte das Ziel, in die erste Reihe der britischen Komponisten aufgenommen zu werden, ihrer Ansicht nach nicht erreicht, und sie kämpfte für mehr Frauen im Musikleben. Sich selbst sah sie dabei als Pionierin und Vorreiterin, die Hindernisse überwunden und den nachfolgenden Generationen den Weg geebnet hatte. Wiederentdeckt wurde Smyth zunächst als Suffragette und Komponistin des ›March of the Women‹ durch die zweite Frauenbewegung in den 1970ern, seit ihrem 150. Geburtstag 2008 wendet sich vermehrt auch die Forschung dieser interessanten Persönlichkeit zu.

Die Deutsche Erstaufführung von ›The Wreckers‹ in der französischen Originalfassung bietet somit eine Chance, diese spannende Komponistin und ihr Schaffen näher kennenzulernen.

MARLEEN HOFFMANN

Die Musikwissenschaftlerin und Smyth-Expertin Dr. Marleen Hoffmann hat das Programm des Symposiums am 25. September im Musikinstrumenten-Museum zusammengestellt, das dem Leben, Werk und Wirkung der Komponistin gewidmet ist.