Erst RIAS-, dann Radio-, heute Deutsches Symphonie-Orchester Berlin – in den drei Namen spiegeln sich Stationen einer bewegten Orchestergeschichte. Unsere Chronik bietet einen kompakten Überblick über 75 Jahre DSO.
1946–1958
Die Gründung als RIAS-Symphonie-Orchester
15. November 1946
Der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) wird im Februar 1946 von der amerikanischen Regierung gegründet und finanziert. Da der Sender über kein Archiv verfügt, besteht ein immenser Produktionsbedarf sowohl an Ernster als auch an Unterhaltungsmusik – so kommt es zur Gründung eines hauseigenen Symphonieorchesters.
7. September 1947
Erstes öffentliches Konzert des RIAS-Symphonie-Orchesters im Titania-Palast in Berlin-Steglitz. Es dirigiert der damalige Leiter der RIAS-Musikabteilung: Walter Sieber (siehe Bild oben).
Ferenc Fricsay – der erste Chefdirigent
1948
Elsa Schiller, die Leiterin des Bereichs Ernste Musik im RIAS, geht auf die Suche nach einem Chefdirigenten für das RIAS-Symphonie- Orchester. Bei den Salzburger Festspielen begegnet sie dem jungen Dirigenten Ferenc Fricsay. Es gelingt ihr, ihn für das Orchester zu gewinnen. Mit Vorliebe dirigiert Fricsay Werke von Mozart, Bartók und Kodály. In seinen Konzerten setzt er zeitgenössische Werke auf das Programm und leitet sogar Konzerte mit ausschließlich Neuer Musik. Namen wie Bartók, Berg, Schönberg oder Strawinsky sind noch keine Selbstverständlichkeit im Konzertleben, und so bringt das Orchester viele Stücke zur Ur- oder Erstaufführung. Damit begründet es seine spezifische Tradition eines in der Welt führenden Spitzenklangkörpers für zeitgenössische Musik. Zu den Instrumentalsolistinnen und -solisten gehören u. a. Géza Anda, Claudio Arrau, Friedrich Gulda und Margrit Weber. Besonders eng arbeitet Fricsay mit den Sängerinnen und Sängern Dietrich Fischer-Dieskau, Josef Greindl, Maria Stader und Ernst Haeßiger zusammen.
September 1949
Die erste Schallplatte, eine Einspielung von Tschaikowskys Violinkonzert mit Yehudi Menuhin und Ferenc Fricsay, wird in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem aufgenommen.
Die erste Namensänderung – Radio-Symphonie-Orchester Berlin
1953
Die amerikanische Regierung kündigt ihre finanzielle Unterstützung für das RIAS-Symphonie-Orchester. Die Musikerinnen und Musiker wollen jedoch das mit Fricsay erarbeitete Niveau nicht aufgeben und gründen deshalb eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).
1954
Fricsay löst seinen Vertrag als musikalischer Leiter, behält aber eine enge Verbindung zum Orchester. In den 50er-Jahren spielt das Orchester unter so berühmten Dirigenten wie Karl Böhm, Georg Solti und Otto Klemperer. Außerdem stehen Wolfgang Sawallisch, Bernhard Haitink und Lorin Maazel als Nachwuchsdirigenten am Pult des Orchesters.
1956
Die zuvor gegründete GbR wird in eine GmbH umgewandelt, nachdem sich die Berliner Klassenlotterie, der Berliner Senat und das Bundesministerium des Inneren entschließen, das Orchester mit laufenden Zuwendungen zu unterstützen. Es folgt eine Änderung des Namens in Radio-Symphonie-Orchester (RSO), denn der zwei Jahre zuvor gegründete Sender Freies Berlin (seit Mai 2003 Rundfunk Berlin-Brandenburg) schließt einen Produktionsvertrag mit dem Orchester, der jedoch an die Bedingung der Namensänderung geknüpft ist. Wolfgang Stresemann wird erster Intendant des DSO.
1957/1958
Mehrere Aufnahmen, die unter der Leitung Ferenc Fricsays entstehen (u. a. Bartóks ›Konzert für Orchester‹ und ›Herzog Blaubarts Burg‹, Mozarts ›Don Giovanni‹), werden mit dem ›Grand Prix du Disque‹ ausgezeichnet.
1959–1988
Ferenc Fricsay – die zweite Amtszeit
1959
Ferenc Fricsay kehrt als Chefdirigent zum RSO zurück. Da Wolfgang Stresemann als Intendant das Orchester verlässt, wird der Solo-Flötist Heinz Hoefs geschäftsführender Direktor des RSO.
28. September 1959
Das erste Konzert nach Fricsays Rückkehr fällt mit der Wiedereinweihung des Großen Sendesaals im Sender Freies Berlin (SFB) in der Masurenallee zusammen. Es ist gleichzeitig ein mediengeschichtliches Ereignis, denn die Übertragung des Konzerts mit Kodálys ›Psalmus hungaricus‹ und Mozarts Messe in c-Moll ist die erste stereophone Sendung im deutschen Rundfunk.
3. November 1959
Erstes Konzert der Reihe ›RIAS stellt vor‹: Junge Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt erhalten hier die Möglichkeit, ihr Debüt zu geben. Unter ihnen werden im Laufe der Jahre so berühmte Namen wie Jacqueline du Pré, Daniel Barenboim, Simon Rattle, Jessye Norman, Evgeny Kissin, Cecilia Bartoli und Christian Thielemann sein. Die Reihe wird bis heute unter dem Namen ›Debüt im Deutschlandfunk Kultur‹ weitergeführt.
August 1961
Bau der Berliner Mauer
November 1961
Fernsehaufzeichnung der ersten Folge einer Werkstatt-Reihe, in der Proben und Aufführungen mit dem RSO unter der Leitung seines Chefdirigenten gezeigt werden. Der Kritiker Ulrich Schreiber bezeichnet Ferenc Fricsay 25 Jahre später als den »ersten Medienkünstler in Deutschland«.
20. Februar 1963
Ferenc Fricsay stirbt nach langer Krankheit.
Lorin Maazel und Jahre ohne Chefdirigenten
1964
Lorin Maazel wird neuer Chefdirigent des RSO. Er legt einen besonderen Schwerpunkt auf die großen Werke von Berlioz, Bruckner und Liszt. Außerdem ist Maazel eine treibende Kraft der Mahler- Renaissance.
1971
Das RSO erhält den ›Kritikerpreis für Musik‹ für seinen bedeutenden Einsatz auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik.
Januar 1973
Große Asien-Tournee mit Lorin Maazel
1976–1982
Jahre ohne Chefdirigenten: Das Orchester arbeitet eng mit den Dirigenten Erich Leinsdorf, Eugen Jochum, Gerd Albrecht, Gennadi Roshdestwensky und Neville Marriner zusammen. Dass in dieser Zeit nichts an musikalischem Niveau verloren geht, ist hauptsächlich dem inneren Zusammenhalt des Orchesters und dem Engagement der Musikerinnen und Musiker zu verdanken.
1977
Das Land Berlin, der RIAS und der SFB treten als Gesellschafter in die RSO-GmbH ein, womit ein wichtiger Schritt zur Existenzsicherung des Orchesters getan ist.
1979
›Großer deutscher Schallplattenpreis‹ für die Ferenc-Fricsay-Edition der Deutschen Grammophon Gesellschaft.
Riccardo Chailly und Peter Ruzicka
1979
Der Komponist, Musikwissenschaftler und Jurist Peter Ruzicka wird Intendant des RSO. Er verfolgt eine dramaturgisch akzentuierte Programmpolitik mit thematischen Schwerpunkten und Symposien. Das RSO erlangt weltweite Anerkennung als ein führendes Ensemble im Bereich der Avantgardemusik.
1982
Der 29-jährige Riccardo Chailly wird Chefdirigent des RSO. Unter seinem Dirigat und dem Intendanten Peter Ruzicka erlebt das Orchester einen enormen künstlerischen Aufschwung. Chailly ist ein Meister in der Gestaltung der großen Form, was besonders seine Mahler- und Bruckner-Interpretationen beweisen.
1984–1986
›Preis der deutschen Schallplattenkritik‹, ›Grand Prix du Disque‹, ›Prix Caecilia‹
Februar/März 1985
Große USA-Tournee mit Riccardo Chailly
ab Januar 1986
In der mit dem SFB veranstalteten Fernsehreihe ›Wege zur neuen Musik‹ stellt Gerd Albrecht im Gespräch mit zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten deren Werke vor.
1989–2006
Vladimir Ashkenazy
1989
Vladimir Ashkenazy wird Chefdirigent des RSO. Er setzt jede Saison unterschiedliche Schwerpunkte und engagiert sich für zeitgenössische Musik. Durch seine vielseitige Programmgestaltung macht er sich einen Namen als Universalmusiker. Außerdem steht er dem Orchester gelegentlich auch als Pianist zur Verfügung.
9. November 1989
Fall der Berliner Mauer
3. Oktober 1990
Vertrag zur Einheit Deutschlands. Als Geschenk spielt das Orchester unter Ashkenazy ein Konzert mit freiem Eintritt in der Staatsoper Unter den Linden.
1992
Günter Wand, mit dem das Orchester triumphale Erfolge erlebt, wird Erster Gastdirigent des RSO.
Die zweite Namensänderung – Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
1993
Um Verwechslungen mit anderen Orchestern in der wiedervereinigten Kulturszene Berlins zu vermeiden, ändert das RSO erneut seinen Namen. Es heißt fortan Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (DSO).
1994
Die Sender Deutschlandfunk, RIAS und Deutschlandsender Kultur schließen sich zum Deutschlandradio zusammen. Um den Fortbestand der mit dem Rundfunk verbundenen Ensembles zu sichern, wird die Rundfunk Orchester und Chöre GmbH (ROC) gegründet, deren Mitglieder das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, der Rundfunkchor Berlin, der RIAS Kammerchor und bis zum Jahr 2001 die RIAS Big Band sind. Gesellschafter der neuen GmbH werden: Das Deutschlandradio (40 %), die Bundesrepublik Deutschland (35%), das Land Berlin (20 %) und der Rundfunk Berlin-Brandenburg (5%).
Mai/Juni 1996
Tournee nach Russland, Korea und Japan mit Vladimir Ashkenazy
16./17. November 1996
Das DSO feiert sein 50-jähriges Jubiläum mit namhaften Gastdirigenten und Solistinnen und Solisten
1996/1997
Das Orchester unternimmt seine erste Südamerika-Tournee und eine große Tournee durch die USA mit Vladimir Ashkenazy. Günter Wand wird zum Ehrendirigenten ernannt.
Kent Nagano
2000
Kent Nagano wird zum Chefdirigenten und Künstlerischen Leiter berufen.
2001
Er führt das Orchester zu Engagements bei den Salzburger Festspielen, im Baden-Badener Festspielhaus und im Pariser Théâtre du Châtelet. Mehrere der dabei entstandenen Opernproduktionen erscheinen auf DVD: Wagners ›Lohengrin‹ und ›Parsifal‹ aus dem Festspielhaus Baden-Baden und Schrekers ›Die Gezeichneten‹ von den Salzburger Festspielen.
Dezember 2001
Mit ›Moses und Aron‹ von Arnold Schönberg werden das Orchester und sein Chefdirigent in Los Angeles gefeiert.
2003/2004
Beginn der Zusammenarbeit des DSO mit harmonia mundi, welche ihr erstes Ergebnis in der Veröffentlichung der CD-Aufnahmen von Beethovens ›Christus am Ölberge‹, Schönbergs ›Jakobsleiter‹ (ausgezeichnet mit dem ›Diapason d’Or‹) und Bruckners Symphonie Nr. 3 findet.
2006/2007
In dieser Saison ohne Chefdirigenten feiert das Orchester sein 60-jähriges Bestehen. Kent Nagano bleibt dem DSO als Ehrendirigent verbunden.
2007 bis heute
Ingo Metzmacher
2007
Ingo Metzmacher tritt das Amt als Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des DSO an. Seine außergewöhnlichen Saisonprogramme folgen einem Leitgedanken, der die musikalische Ausgestaltung prägt. Mit der Einführung des erfrischend anderen Konzertformats der Casual Concerts unterstreicht Ingo Metzmacher die Offenheit des Orchesters und die Ansprache eines neuen Publikumskreises.
2008
Mit Ingo Metzmacher etabliert sich eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Label Phoenix Edition. In der Folge erscheinen hier unter anderem die hoch gelobten Einspielungen von Hans Pfitzners Kantate ›Von deutscher Seele‹ und der Märchenoper ›Königskinder‹ von Engelbert Humperdinck.
2009
Nach den Themenreihen ›Von deutscher Seele‹ und ›Aufbruch 1909‹ geht Ingo Metzmacher in seiner dritten und letzten Saison mit dem DSO den Spielarten der Versuchung als Triebkraft und Topos in der Musik nach.
2010
Das DSO eröffnet unter Ingo Metzmacher die Salzburger Festspiele mit der umjubelten Uraufführung der Oper ›Dionysos‹ von Wolfgang Rihm. Tugan Sokhiev unterschreibt seinen Vertrag beim DSO und trägt ab der Saison 2010/2011 den Titel des designierten Chefdirigenten.
2011
Das DSO erhält den Grammy Award für die beste Operneinspielung für ›L’amour de loin‹ von Kaija Saariaho unter der Leitung von Kent Nagano.
Tugan Sokhiev
2012
Tugan Sokhiev wird Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des DSO. Dem französischen sowie russisch-slawischen Repertoire misst Sokhiev zu Beginn seiner Amtszeit großes Gewicht bei. In der weiteren Zusammenarbeit finden auch seine bestechenden Mahler- und Brahms-Interpretationen höchste Anerkennung. Mit seinem eindrucksvollen dirigentischen Vermögen festigt er erneut den Ruf des DSO als internationaler Spitzenklangkörper. Aus der intensiven Beschäftigung mit dem Werk Sergei Prokofjews gehen drei hervorragend rezensierte Einspielungen beim Label SONY Classical hervor, darunter die Filmmusik zu ›Iwan der Schreckliche‹.
2014
Im Sommer wird der erste ›Symphonic Mob‹ vom DSO verwirklicht. Deutschlands größtes Spontanorchester ist ein überwältigender Erfolg und findet in der Folge bundesweite Verbreitung.
2015
Robin Ticciati wird designierter Chefdirigent.
Robin Ticciati
2017
Robin Ticciati tritt sein Amt als der bisher achte Chefdirigent und Künstlerische Leiter des DSO an. Er führt das Orchester in das achte Jahrzehnt seines Bestehens. Seine Programmgestaltung zeichnet sich durch große Neugierde und Offenheit aus – so realisiert er zum Beginn seiner ersten Spielzeit das innovative Konzertereignis ›Parallax‹ im Kraftwerk Berlin.
2018
Unter dem Titel TRIKESTRA entsteht eine Projektreihe, in deren Rahmen das DSO mit Akteuren der freien Musikszene neuartige und spielerische Konzertformate gestaltet.
2019
Im Herbst 2019 führt eine Asien-Tournee das Orchester mit Robin Ticciati für eine Residenz nach Tokio und zu Konzerten nach China. 2020 folgen Gastspiele unter anderem im Concertgebouw Amsterdam und in der Hamburger Elbphilharmonie.
2020/2021
In den Pandemiejahren 2020 und 2021 realisieren Robin Ticciati und das DSO in Koproduktion mit EuroArts Music International und sounding images eine Reihe außergewöhnlicher Musikfilme, darunter eine Produktion im Berliner Club Sisyphos um Ondřej Adámeks Werk ›Dusty Rusty Hush‹ und eine filmische Umsetzung von Strauss’ ›Eine Alpensinfonie‹ mit philosophischen Kommentaren des legendären Bergsteigers Reinhold Messner. Veröffentlicht werden diese Filme in der DSO-eigenen Mediathek, dem DSO PLAYER.
15. November 2021
Das Orchester feiert sein 75-jähriges Bestehen mit Jubiläumskonzerten unter der Leitung Ticciatis. Im Rahmen der Jubiläumssaison 21/22 spielt das Orchester außerdem unter der Leitung aller Chefdirigenten, die seit der Jahrtausendwende die Geschichte des DSO geprägt haben.