24.9.1978

Renaissance der Vergessenen

CD-Cover Decca Entartete Musik Korngold Das Wunder der Heliane
CD-Cover der Einspielung von Korngolds Oper ›Das Wunder der Heliane‹, die 1992 in der Decca- Reihe ›Entartete Musik‹ veröffentlicht wurde

Es ist eine aufregende, farbenprächtige und längst vergessene Welt, die sich hier neugierigen Ohren präsentiert. Musik von Franz Schreker ist am Anfang des Konzerts mit Erich Leinsdorf am 24. September 1978 zu hören: Zwei lyrische Gesänge nach Walt Whitman und das ›Vorspiel zu einem Drama‹, die Konzertfassung der Ouvertüre zur Oper ›Die Gezeichneten‹ von 1913. Diese wundersam schillernde Fin-de-Siècle-Musik bildet den Auftakt zu einer einzigartigen Bewegung, an deren Spitze das DSO steht. Sie hat sich der Wiederentdeckung lange vergessener Komponisten verschrieben, die vor allem von Wien aus die Musikwelt der 1910er- und 1920er-Jahre im Sturm eroberten und zur musikalischen Avantgarde ihrer Zeit zählten.

Neben Schreker – mit Richard Strauss der damals meistgespielte Opernkomponist im deutschsprachigen Raum – gehören dazu unter anderem Erich Wolfgang Korngold und Alexander Zemlinsky, aber auch Erwin Schulhoff – der sich früh von Jazz und Dada inspirieren ließ – und der ebenfalls aus Prag stammende Hans Krása. Doch als ihre Musik von den Nationalsozialisten als »jüdisch«, »dekadent« oder »entartet« verboten wurde, fielen sie bald dem Vergessen anheim. Schreker starb 1934, Zemlinsky 1938 im New Yorker Exil, Krása und Schulhoff wurden in Konzentrationslagern ermordet. Korngold erfand in Hollywood die Filmmusik neu, konnte aber nach dem Krieg im Konzertsaal nicht wieder Fuß fassen. Serialismus und elektronische Musik waren nun die neuste Mode, die als spätromantischer Schwulst geschmähten Relikte der Vorkriegszeit kehrten nicht auf die Spielpläne zurück. Über vier Jahrzehnte lang ist die sinnliche, rauschhafte Zaubermusik der Wiener Moderne, sind die Innovationen und individuellen Wege der von den Nazis verfolgten Komponisten kaum mehr zu hören; in den 80er- und 90er-Jahren werden sie wiederentdeckt, gemeinsam mit Partnern beim Radio und der Tonträgerindustrie. Vor allem Gerd Albrecht und Lothar Zagrosek, aber auch Riccardo Chailly, Vladimir Ashkenazy und Peter Ruzicka erkunden in zahlreichen DSO-Konzerten das unbekannte Repertoire, erschaffen mit Einspielungen von Opern wie Schrekers ›Der ferne Klang‹, Walter Braunfels’ ›Die Vögel‹, Berthold Goldschmidts ›Der gewaltige Hahnrei‹ oder Korngolds ›Das Wunder der Heliane‹ Referenzaufnahmen, die den Stücken ihren Weg zurück auf die Bühnen bahnen und neben etlichen Orchesterwerken in der Reihe ›Entartete Musik‹ des Labels Decca international für Furore sorgen.

Auch die Jubiläumssaison 2021/2022 verheißt zahlreiche Begegnungen: Von Korngold, Zemlinsky und Pavel Haas erklingt Kammermusik; in der Philharmonie ist die Ouvertüre für kleines Orchester von Krása zu hören, ein Konzert widmet sich Filmmusik und der Rückkehr Korngolds zur Symphonie, und Zemlinskys ›Seejungfrau‹ gehört fast schon zu den Dauerbrennern im Programm des DSO.