Günter Wand

Der erste Ehrendirigent

Günter Wand. Foto: Klaus Hennig / BMG
Günter Wand. Foto: Klaus Hennig / BMG

Am 9. April 1996 stand Günter Wand, seit drei Jahren Erster Gastdirigent des DSO, am Pult des Orchesters in der Berliner Philharmonie. Aufs Programm hatte er Symphonien von Beethoven und Brahms gesetzt, zwei seiner Hausgötter. Es war der letzte von drei aufeinanderfolgenden Konzertabenden, die zugleich das Ende einer triumphalen Zusammenarbeit bedeuten sollten. Kurz darauf ernannte das DSO Günter Wand zu seinem ersten Ehrendirigenten – ein Titel, der außer ihm bislang nur Kent Nagano zehn Jahre später verliehen wurde.

Wand war bereits 71 Jahre alt, als er das DSO erstmals dirigierte – und hatte doch den Zenit seiner musikalischen Karriere noch vor sich. Dem späten Ruhm als international begehrte Künstlerpersönlichkeit ging eine klassische Kapellmeisterlaufbahn voraus. 1912 in Elberfeld bei Wuppertal geboren, sammelte Wand erste Erfahrungen an kleinen Bühnen in seiner Heimatstadt, in Allenstein und später in Detmold mit der Leitung von Opern und Operetten. 1939 wurde er zum Ersten Kapellmeister an das Kölner Opernhaus berufen, wo man ihn nach dem Krieg mit dem Wiederaufbau des Musikbetriebs beauftragte. Ein Jahr später ernannte ihn die Stadt Köln zum Generalmusikdirektor, kurz darauf zum Leiter des traditionsreichen Gürzenich-Orchesters. Dieses entwickelte sich in den fast 30 Jahren unter Wands Ägide zu einem formidablen Klangkörper.

Später Ruhm

Seit den Nachkriegsjahren erarbeitete sich Wand das große klassisch-romantische Repertoire und etablierte sich zugleich als ein emphatischer Fürsprecher neuer Musik, der nicht nur die Klassiker der Moderne zurück ins Konzertleben holte, sondern auch für eine Vielzahl an Ur- und Erstaufführungen unter anderem von Werken Bernd Alois Zimmermanns, Wolfgang Forners oder Olivier Messiaens verantwortlich zeichnete. Wand weckte zunehmend Interesse und erhielt Einladungen nach Berlin, München, Paris, Chicago und Tokio, von der BBC und den deutschen Rundfunkorchestern. Bereits 1959 wurde er als erster westdeutscher Dirigent zu Konzerten in die damalige Sowjetunion eingeladen. Sein Sprung an die Weltspitze gelang ihm mit den ab 1977 erschienenen Gesamtaufnahmen der Symphonien Bruckners und Schuberts am Pult des Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchesters (heute WDR Sinfonieorchester). Als 70-Jähriger übernahm er die Chefposition beim NDR-Sinfonieorchester, dem er nach Ende seiner legendären Amtszeit bis zuletzt als Ehrendirigent verbunden blieb.

das DSO. Foto: Wilhelm Fröling
Günter Wand dirgiert das DSO. Foto: Wilhelm Fröling

Berliner Triumphe

Günter Wand leitete sein erstes Konzert beim DSO, das damals noch Radio-Symphonie-Orchester Berlin hieß, im April 1983. Gespielt wurde Bruckners Fünfte, Wands »Schicksals-Symphonie«, an die sich der Dirigent erst im hohen Alter heranwagte und deren Aufnahme wenige Jahre zuvor seinen Spätruhm mitbegründet hatte. Von da an hielt er regelmäßig Verbindung nach Berlin. Mit fast 20 Programmen stand er bis 1996 am Pult des DSO, zu stets umjubelten Konzerten und vor allem mit den programmatischen Schwergewichten Beethoven, Brahms, Bruckner und Schubert.

Ein Gros der von ihm geleiteten Konzerte – aber auch öffentliche Proben im Rahmen der ›Werkstatt‹-Reihe, die das DSO in Zusammenarbeit mit dem RIAS veranstaltete – wurde vom RIAS und dem SFB aufgezeichnet. Sie liegen heute gesammelt in zwei preisgekrönten Editionen vor, die von Profil Hänssler zwischen 2009 und 2012 herausgegeben wurden.

Die Aufnahmen dokumentieren die Arbeit eines Dirigenten, der sich als Anwalt der Partitur verstand und mit großer Hingabe danach strebte, seinem Publikum die Idee eines Werkes zu vermitteln. Obwohl geistig durchdrungen, waren seine Lesarten keineswegs prätentiös – akribisch, aber stets beseelt. Seine Interpretationen haben neue Maßstäbe gesetzt, seine Konzerte dem Berliner Musikleben Glanzstunden beschert. Günter Wand starb 2002 im Alter von 90 Jahren in seinem Schweizer Wohnsitz in Ulmiz.