Steven Isserlis gehört zu den wichtigsten Cellisten der Gegenwart. Am 18. und 19. November ist er mit Antonín Dvořáks h-Moll-Konzert beim DSO zu erleben.
Steven Isserlis, aus Dvořáks Cellokonzert klingt Heimweh. Kennen Sie dieses Gefühl, wenn Sie lange auf einer Konzerttournee unterwegs sind?
Interessante Frage. Ja, so kann man das Konzert sehen,
aber Heimweh ist nur eine Möglichkeit, die melancholischen Passagen im Werk zu interpretieren. Auf Reisen vermisse ich Menschen mehr als Orte. Auf der anderen Seite ermöglicht mir das Reisen in verschiedene Länder, dort Freunde zu treffen. Dennoch ist es immer wieder schön, nach Hause zu kommen, das gebe ich zu.
Finden Sie vor oder nach Ihren Auftritten Zeit, Museen oder Sehenswürdigkeiten in den jeweiligen Städten zu besuchen?
Gelegentlich, aber nicht so oft, wie ich möchte. Es hängt teilweise davon ab, wohin ich reise. Wenn ich einen langen Flug wie zum Beispiel nach Australien habe, brauche ich mehr Zeit, um mich einzustellen und um danach genug Möglichkeiten zum Sightseeing zu haben. Aber noch mal: Was ich am Reisen am meisten genieße, ist die Möglichkeit, meine Freunde zu sehen.
Die Inspiration zu seinem Cellokonzert kam Dvořák angeblich beim Besuch der Niagarafälle, die ihn überwältigten. »Sacra, das wird eine Symphonie in h-Moll!«, soll er gerufen haben. Aber es wurde ein Cellokonzert. Was ist so symphonisch an diesem Werk?
Nun, es ist gewissermaßen ein Tripelkonzert für Cello, Flöte und Klarinette. Es gibt so viel zu tun für diese Instrumente! Aber ich stelle es gerne als Kammermusik im großen Maßstab vor: Die Stimme des Cellos interagiert
mit den vielen Stimmen des Orchesters.
Wie viel USA steckt in dem Werk und wie viel tschechische Heimat?
Ich spüre ehrlich gesagt nicht viel USA in diesem Werk. Ich denke, man kann es als »slawisch im Geiste« beschreiben – nun, es ist eben Dvořák! Es steckt voller
Warmherzigkeit, so typisch für ihn, voller vitaler Rhythmen, die teilweise von der Volksmusik abgeleitet sind, und natürlich voller ergreifender Melodien.
Dvořák war nicht unbedingt ein Fan des Cellos. Er bezeichnete es abfällig als »Stück Holz« und dass es nur in der Mittellage gut klinge, während es »oben kreischt und unten brummt«. Trotzdem ist ihm ein Meisterwerk gelungen, oder?
Oh ja! Ich denke, er muss seine Meinung geändert haben, als er das Konzert schrieb, ganz sicher. Lustigerweise trifft diese abwertende Beschreibung eher auf die Verwendung des Cellos in seinem A-Dur-Konzert zu. Bei diesem Stück entscheide ich mich deshalb immer, die bearbeitete Version von Günter Raphael zu spielen. Normalerweise bin ich ein Verfechter der Urtexte – aber nicht in diesem Fall.
Kurz vor Vollendung des Werks starb seine geliebte Schwägerin Josefina Kounicová. Ihr Lieblingslied »Lasst mich allein in meinen Träumen gehen« aus seinem Liedzyklus op. 82 zitiert Dvořak gleich zweimal, im Adagio und im Finale. Wie unterscheiden sich diese beiden Einsätze im Kontext und in der Bearbeitung?
Wenn es zum ersten Mal erklingt, im langsamen Satz, ist es ein ziemlich vollständiges Zitat. Zu diesem Zeitpunkt war Josefina bereits sehr krank. Am Ende, in der Coda, die Dvořák erst komponierte, nachdem er von ihrem Tod erfahren hatte, ist das Zitat fragmentarischer – und noch berührender.
Was war der schlimmste Traum, den Sie je hatten?
Oh, ich habe so viele Träume, auch schlimme. Normalerweise gehen Konzerte oder Aufnahmen schief. Oder Instrumente sind defekt. Manchmal berichte ich davon auf Twitter. Das Problem dabei ist, dass manche Leute nicht richtig hinschauen und denken, das sei wirklich passiert. Neulich wurde ich sogar beschimpft, als ich von einem Alptraum erzählte, in dem ich so müde gewesen bin, dass ich Faurés Zweites Klavierquartett versaut habe. Jemand schrieb, dass ich mich mit meiner Arbeit wohl übernommen hätte und zu viele Stücke aufnähme, ohne mich vorher ausreichend auszuruhen!
Wir haben bereits 2017 ein Interview für das Magazin concerti geführt. Sie haben damals davon gesprochen, Dvořáks Cellokonzert ein zweites Mal aufzunehmen, aber nicht sofort, weil es »reifen« müsse. Wie weit sind Ihre Pläne heute, fünf Jahre später?
Oh ja! Gut daran erinnert zu werden. Aber eine neue Aufnahme liegt noch in weiter Ferne. Ich würde es gerne machen, bevor ich abtrete … (schmunzelt)
Im selben Interview gaben Sie auch eine Anekdote aus Ihrer Schulzeit preis. Darin kommen eine Tasche und ein Auto vor. Können Sie die Geschichte nochmal erzählen?
Sie haben eine gute Erinnerung! Ja, es war nicht mein bester Schultag an der City of London School. Ich warf meine Aktentasche aus dem Fenster und sie landete einige Stockwerke tiefer auf dem nagelneuen Auto meines Naturwissenschaftslehrers. Eine riesige Delle auf der Motorhaube war das Ergebnis. Nun, zumindest war ich für kurze Zeit eine Berühmtheit an unserer Schule. Aber meine Eltern waren nicht so begeistert, und der Rektor schon gar nicht. Und mein Lehrer auch nicht – verständlich.
Wie war damals der Musikunterricht an Ihrer Schule? Interessant, langweilig oder gar kontraproduktiv?
Ziemlich langweilig. Aber zumindest gab es viel Musik in der Schule, was gut war. Einige von uns wurden Musiker. Ich war freudig überrascht, als ich kürzlich vom Musikleiter der Schule zu einem Konzert des Schulchors und des Orchesters eingeladen wurde. Das Requiem von Saint-Säens stand auf dem Programm, sehr beeindruckend. Leider konnte ich es zeitlich nicht einrichten. Als ich noch zur Schule ging, war es der Englischunterricht, der mich am meisten interessierte. Wir hatten wirklich gute Englischlehrer! Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich heute Bücher schreibe.
Sie schreiben Jugendbücher über Musik. Was versuchen Sie da zu vermitteln?
Ich versuche, den jungen Lesern großartige Komponisten vorzustellen, ihnen die unterschiedlichen Charaktere, ihr Leben und ihre Musik nahezubringen. Als ich jung war, hatte ich das Glück, von einem Cellolehrer unterrichtet zu werden, der mir das Gefühl gab, dass die großen Komponisten meine Freunde waren. Dieses Gefühl wollte ich an Kinder und Jugendliche weitergeben. Musik hat gerade im Leben junger Menschen einen wichtigen Stellenwert und übt in jeder Weise einen positiven Einfluss aus.
Die Fragen stellte Helge Birkelbach.
Das Gespräch ist in einer gekürzten Fassung in den DSO-Nachrichten 11/12 2022 erschienen.