Der erste Chefdirigent

Die Legende Ferenc Fricsay

Ferenc Fricsay probt. Gemälde von Dietrich Fischer-Dieskau (1998). Foto: Archiv DSO
Ferenc Fricsay probt. Gemälde von Dietrich Fischer-Dieskau (1998). Foto: Archiv DSO

Ferenc Fricsay war, von 1948 bis 1961, der erste Chefdirigent des DSO. Ohne ihn wäre es nicht das Orchester, das es heute ist.

Seit 2014 hängt das Porträt Ferenc Fricsays im Büro des DSO. Es stammt aus dem Nachlass Dietrich Fischer-Dieskaus, der große Bariton hat es 1998 gemalt. »Diesem Leuchtenden begegnet zu sein«, sagte der Sänger, der mit Fricsay seine Karriere begann, »ihn ein Stück seines Weges begleitet zu haben, ist ein Geschenk, das man nur mit Dankbarkeit empfangen kann.« Nach einem Probenfoto entstanden, zeigt das Bild Fricsay als den strengen Orchesterlehrer, der er war. Charmant im Umgang – »Bitte, seid’s so lieb« –, durchdrungen von der Leidenschaft zur Musik, doch unerbittlich im Streben nach Präzision und Perfektion, die unabdingbar sind, wenn man eine Partitur in klingende Kunst verwandeln will.

Sein tiefes Musikverständnis hatte sich Fricsay von klein auf erarbeitet. Er studierte Klavier, Geige, Klarinette, Posaune, Schlagzeug, Komposition und Dirigieren, zählte Bartók und Kodály zu seinen Lehrern. Er begann, wie sein Vater, als Militärkapellmeister und dirigierte nach dem Krieg an der Staatsoper in Budapest. Bei den Salzburger Festspielen 1947 wurde die Musikwelt schlagartig auf den jungen Ungarn aufmerksam, der für Otto Klemperer eingesprungen war. Schon im Jahr darauf wurde er zum ersten Chefdirigenten des gerade gegründeten RIAS-Symphonie-Orchesters (heute DSO) ernannt.

Ferenc Fricsay war der richtige Mann zur richtigen Zeit, verpflichtete zahlreiche Mitglieder aus den besten Berliner Orchestern und formte fast im Handumdrehen ein Ensemble, das mit Konzerten, vor allem aber durch eine enorme Anzahl von Rundfunk- und Schallplatteneinspielungen Weltgeltung erlangte. Für den RIAS und die Deutsche Grammophon entstanden Mozart- und Bartók-Aufnahmen, die noch heute Referenzqualität besitzen; im Repertoire bewegte er sich zwischen Haydn und der Gegenwart, machte selbst vor Strauß-Walzern nicht halt. Als »erster Medienkünstler« (Ulrich Schreiber) erkannte er schon früh den Mehrwert von Radio und Television, wie nicht nur seine Fernsehproben von 1960 und 1961 beweisen.

1954 verließ Fricsay Berlin für kurzlebige Engagements in Houston und an der Münchner Staatsoper, ohne auf regelmäßige Konzerte mit seinem Orchester zu verzichten. 1959 kehrte er als Chefdirigent zum DSO zurück. Doch viel Zeit war dieser beglückenden Partnerschaft nicht mehr beschieden. Schwer erkrankt, dirigierte Fricsay im November 1961 zum letzten Mal in Berlin. Im Februar 1963 verstarb, mit 48 Jahren, in seiner Schweizer Wahlheimat ein Dirigent, der Kapellmeisterhandwerk und musikantische Tradition, grenzenlose Liebe zur Musik und künstlerischen Genius aufs Trefflichste miteinander verband. In seinen Berliner Jahren ist er zur Legende geworden – der man dank zahlreicher Wiederveröffentlichungen inzwischen mit Hörgenuss nachspüren kann. Ohne Ferenc Fricsay wäre das DSO nicht das Orchester, das es heute ist.

Bildergalerie: Ferenc Fricsay bei Proben und Aufnahmen